MTF-Charts und Objektiv-Qualität
Die
meisten Objektivhersteller für Consumer- und
DSLR-Kameras veröffentlichen MTF-Meßkurven,
die das Leistungsprofil der jeweiligen Objektive präsentieren
sollen. MTF bedeutet "Modulation Transfer Funktion"
und trotz klangvoller Bezeichnung handelt es sich
einfach nur um das Auszählen von unterscheidbaren
Kontrastpeaks über eine Pixelstrecke. Also vorne
was eingeben und hinten sehen was rauskommt.
Die
Anzahl der übertragenen Kontrastwechsel (Linienpaare)
entlang einer Strecke dx wird als Ortsfrequenz (Auflösungskriterium
in Linienpaare pro Millimeter) bezeichnet
und die jeweilige Unterscheidbarkeit der Signal-Peaks
(Amplitude, Magnitude) nennt man Intensität oder
einfach Kontrast. Man schaut sich an, wieviele Peaks
auf dieser Strecke zu unterscheiden bzw auszählbar
sind. Im Sinne der physikalischen Absicht geht es
demnach nicht um eine analytische Funktion, sondern
um ein verifizierbares Meßergebnis.
Mit
Herabsetzung der Ortsfrequenz (Dichte von Signalpeaks
pro Längeneinheit dx) steigt die Unterscheidbarkeit
und die "gemessene" Maximalauflösung
der Optik bleibt dann unberücksichtigt, dh. je
weniger exakt die Messung, desto schöner und
gleichmäßiger die MTF-Kurven. Dieser Eindruck,
begleitet von pseudo-akademischem und Sensations-Geschwätz,
steht dann der seriösen Wissenschaftlichkeit in krasser
Weise entgegen. Das liegt nicht allein daran, daß
die Intensität näherungsweise "exponentiell"
mit kleiner werdenden Distanz abfällt. Auch marktwirtschaftliche
Interessen beeinflussen das Ergebnis.
Die
Unterscheidbarkeit konvergiert bei steigender Ortsfrequenz
gegen den (theoretischen) Mittelwert beider Extrema.
Genau in diesem Übergang von Minimal-Kontrast
zur Null-Differenz (Grenzauflösung mit exp(-f)-Charakteristik)
sind die kritischen Fehler des optischen Systems als
ein Qualitätskriterium erkennbar. Wenn
dieser Grenzauflösungsbereich durch Herabsetzen
der Ortsfrequenz ignoriert wird, dann entzieht man
den MTF-Charts eine nicht unerhebliche Qualität
an Informationsgehalt. Wenn man die Höchstgeschwindigkeit
eines Fahrzeuges ermitteln will, aber eine meßtechnische
Geschwindigkeitsbegrenzung vorgibt, dann ist das gesamte
Experiment fragwürdig bis sinnfrei.
Im
Kontrastprofil zeigt die ansteigende Ortsfrequenz
(gelb markiert) einen Verlust der übertragenen
Unterscheidbarkeit und die Amplitude wird kleiner.
Bei einer 8bit-Werteskala von 0 bis 255 definiert
der Mittelwert der Extrema 127.5 die Null-Grenze.
Skaliert man die Amplitude nicht auf Absolutwerte,
sondern auf eine Normierung, dann geht der Wertebereich
für die Differenz von 0 bis +1.0 oder von 0%
bis 100%, sodaß die Amplitude keine negativen
Werte annehmen kann. Die unterscheidbare Amplitudenhöhe
ist proportional zum Kontrast (blaue Linie) und ein Indikator
für die Bildschärfe. Optisch nutzbar ist
eine Signalintensität, die größer
ist als der Signalrauschpegel der Sensorik oder des
photoaktiven Filmmateriales. Liegt die Signalintensität
etwa 20% über dem Rauschpegel oder dem Null-Kontrast,
dann gilt die Abbildungsqualität beispielsweise
für die (digitale) Mikroskopie noch als gut differenzbar.
Die
Lesbarkeit der Kontrastpeaks über die Distanz
dx kann durch die Pixelabstände bzw. die Abtastschrittweite
des Auslesesystemes begrenzt werden. Ein geeignetes
Meßsystem sollte wenigstens die doppelte Auflösungsfähigkeit
auf die sensorische Fläche projezieren können
als die Maximalauflösung des Objektives ermöglicht.
Dann erst kann eine Maximalauflösung ermittelt
werden.
Neben
der Rauschgrenze ist ein weiteres Kriterium der optischen
Nutzbarkeit bezüglich der photo-sensorischen Fläche
zu berücksichtigen: Ab einem Kontrastwechsel kleiner als 2 Pixel erreicht
die Chip-Sensorik (nicht unbedingt das optische Gerät)
die Grenze ihrer Differenzierungsfähigkeit. Der
Abstand dx dieser beiden Pixel wäre dann die
kleinst mögliche Meßstrecke. Unterhalb
dieser Grenze kann die Bildqualität der Optik
ausgemessen oder effizient genutzt werden. Oberhalb
der Grenzfrequenz verschmelzen die Auslesepeaks in
eine undifferenzierte Abbildungsqualität. Somit
ist die sinnvolle Investition in die Leistungsfähigkeit
der Optik stets abhängig von der verwendeten
Kamera-Sensorik.
Die
Auflösungsgrenze der Sensorik ist also abhängig
von dem sensorischen Matrixraster und vergleichbar
mit dem mittleren Abstand der Silber-Brompartikel
eines konventionellen Filmes. Wenn die vom Objektiv
übertragenen Peakabstände kleiner sind als
der Abstand zweier Pixel, dann überschreitet
die optische Abbildungsleistung die Differenzierungsfähigkeit
der Sensorik bzw des Meßinstrumentes. Diese
Grenz der nutzbaren Ortsfrequenz nennt man auch Nyquist-Kriterium.
Sie ist in einfachster Form für einen Kontrastwechsel definiert
durch:
wobei
dy den Pixel-Abstand (µm) kennzeichnet, dh.
die halbe Rasterweite des auslesenden Sensors begrenzt
die maximal wahrnehmbare Ortsfrequenz (Auflösungsfähigkeit)
des optischen Systemes.
Das
MTF-Meßverfahren ist formal definiert durch
den Unterschied der extremalen Intensitäten mit
F als relativer Kontrastwert, I max als höchste
(bei 8bit-Skalierung wäre 255 der maximal mögliche
Wert) und I min als niedrigste Intensität.
Ist
I_max = I_min, dann wäre die Modulation 0, also
kein Signalunterschied und die Bildschärfe kann
nicht gemessen werden. Ist nur I_min = 0, dann erreicht
die Modulation 1.0 oder 100% unabhängig von I_max.
Daran ist ersichtlich, daß F_mtf die Transferleistung
als Relativwert darstellt. Sieht man F_mtf jedoch
im Verhältnis zum maximalen Eingangssignal, dann
erhält man die Funktion MTF und es gilt
Dieses
Kriterium definiert eine normierte Signalamplitude
(0 < S(i) < 1) und beschreibt ein Meßprinzip,
sagt aber nichts aus über die Zweckmäßigkeit
der Vorgabe-Parameter. Mit wenigen Ausnahmen veröffentlichen die meisten
Hersteller ihre MTF-Charts nur für zwei Auflösungsvorgaben,
einmal 10 Linienpaare pro mm und im zweiten Durchgang
30 Lp/mm, wobei man der 10 Lp/mm-Kurve das Kontrastverhalten
und der 30 Lp/mm-Kurve die Konturschärfe zuordnet. Es
werden meist zwei Blenden berücksichtigt, jeweils
eine Meßserie bei Offenblende und einmal bei
mittlerer Blende f 8.0 - eine kontinuierliche Meßserie
über verschiedene Blenden zur empirischen Ermittlung
der Maximalleistung ist nicht das Ziel der Veröffentlichung.
Diese
MTF-Charts berücksichtigen gerade mal die Aufllösung
eines Diafilmes vom Gemüse-Discounter, der eine
Auflösung von etwa 20 bis 35 Lp/mm erreicht.
Diafilme mittlerer Qualität liegen schon bei
etwa 30 bis 70 Lp/mm und ein professioneller Negativ-Film
erreicht bereits eine Auflösungsfähigkeit
von 90 bis 150 Lp/mm, ein hochauflösender Repro-SW-Film
überschreitet die 380 Lp/mm Marke. Selbst wenn
die Auflösungsangaben von Filmmaterial geschönt
wären, darf man doch realistische Auflösungswerte
von 100 Lp/mm für einen Professional-Film erwarten
und diese Leistung entspricht etwa der Grenze von
APS-C Sensoren bei etwa 15 MP. Selbst ein 21MP KB-Fullframe
Sensor mit vergleichweise großer Pixelbreite
liegt bei einer Auflösungsgrenze von etwa 75
Lp/mm. Die klasssischen MTF-Charts sind überholt
und wenig aussagekräftig, weil bereits die Periferie-Technik
einen deutlich höheren Qualitätsanspruch
erfüllt.
Die
relativ unkritischen Meßparameter von 10 und
30 Lp/mm befinden sich demnach unterhalb der Leistungsanforderung
eines aktuellen Sensors und unterhalb der Leistungsgrenze
eines hochwertigen Objektives und unterhalb der Auflösung
von gutem Reprofilmmaterial.
Störende Sekundäreffekte, wie beispielsweise
die Deformation der Wellenfront an den Kanten der
Fassung bzw der Blende oder der Einfluß von
Aberrationsfehlern, werden somit nicht dargestellt.
Bei
zunehmend höherer PD-Dichte der Sensorik ergibt
sich daraus ein praktisches Problem der Aussagequalität,
denn Beugungseffekte und Aberrationsfehler bestimmen
letztlich die Verwendbarkeit. Nicht nur in Bezug auf
den Kaufpreise des optischen Gerätes, der auch
im Bereich der 35mm DSLR die Kosten der Kamera um
das Mehrfache überschreiten kann, wären
MTF-Charts für "realistische" Ortsfrequenzen
überfällig, ansonsten bleiben die Qualitätsanforderungen
für aktuelle Digitalkameras unberücksichtigt.
Es
sind weitere Kriterien für die MTF-Charts aussagerelevant,
wie etwa der Abtastweg bzw. die Richtungsorientierung
der Testmuster. Rätselhafte Begrifflichkeiten, wie "Sagittalebene"
und "Meridionalebene" sind zuweilen von
komplizierter bis wirrer Darstellung und beeindruckenden
Mathematikhyroglyphen begleitet. Verschiedenste Strahlengeometrien,
"Bildschalen" und "Wölbungsebenen"
werden da bemüht, aber der Sachverhalt ist mit
religiöser Selbstfindungs-Prosa seltenst klarer verständlich. Wenn wir die
Aussagequalität von MTF-Charts verstehen wollen, sollten wir auf den
Sinn der Sprache nicht verzichten.
Sagittal-Linien
verlaufen auf der Bildebene in Richtung Radius, also
(sternförmig) vom Zentrum nach außen. Die
Testlinien sind am lokalen Meßpunkt exakt parallel
zueinander angeordnet. Daraus resultieren die Radial-Linienpaare
(parallel zum Radiusvektor) als meßtechnischer
Abtastweg bzw. als Orientierung für ein Testmuster.
Meridional-Linien
folgen parallel dem Umfang, der durch den variablen
Radius definiert ist (also senkrecht zum Radiusvektor).
Daraus resultieren die meßtechnischen Tangential-Linienpaare.
Die Testlinien sind auch hier am lokalen Meßpunkt
exakt parallel zueinander ausgerichtet.
Dem
Umfang folgende Messungen entsprechen einer abtastenden
Drehbewegung, die ein zusätzliches Kriterium
für Symmetrie- und Positionsfehler enthält.
Übersetzt
man einfach Meridional mit vertikal und Sagittal mit
horizontal, ohne irgend einen Bezug zum Radius mit
seiner Vektorrichtung, dann erschließt sich
aus den Begrifflichkeiten keine praktisch sinnvolle
Erkenntnis, mal abgesehen vom rätselhaften Wortgeklingel.
Seriöse
Hersteller in der Kategorie Zeiss, Leica, Hasselblad,
Rodenstock, Canon, Nikon u.a. geben den Radius in
mm an und dieser reicht vom Nullpunkt diagonal nach
außen bis in die Bildecke.
Der
Abtastweg verläuft vom Zentrum beginnend kontinuierlich
nach außen und die Messung erfolgt jeweils mit
zwei Testpattern (radiale und tangentiale Linienmuster),
wobei die Kontrastmessungen über die Wegstrecke
automatisiert ausgewertet werden. Exakte Messungen
wiederholen diesen Vorgang um 90 Grad verdreht, wodurch
ein Toleranzwert entsteht und zusätzlich die
metrische Präzision zur optischen Achse gemessen
werden kann.
Bei
einem KB-Format beträgt die Diagonale bekanntlich etwa
43mm, sodaß der Schärfe- und Kontrastverlauf
über einen Radius von 0 bis 21mm abgebildet
sein sollte.
[
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